Nord- und Süddeutschland, Sep./Okt. 2021

11.09. bis 3.10.2021

„Grand“ Tour durch Deutschland

Dienstag, 14.9. 

Nach einem Familientreffen in Köln fahren Claus und ich weiter Richtung Nordsee. Im Emsland finden wir einen Stellplatz nahe der Autobahn zwischen Emme und Haren. Es ist ein Bauernhof mit einem Bauerncafé, einem kleinen Tierpark mit gefährdeten Nutztierrassen, einer Obstplantage, einem Maislabyrinth und einem Bauerngolfplatz. Ja genau, sowas gibts auch, aber wir verzichten aufs Ausprobieren.

Der Bauernhof ist übrigens der erste Stellplatz, den wir auf der deutschen Website „Landvergnügen“ finden, auf der Landwirtschaftsbetriebe, Winzer und Landgasthöfe gelistet sind. Die Camper bezahlen eine Jahresgebühr und dürfen nach Voranmeldung kostenlos bei den Gastgebern eine Nacht verbringen. Dafür sind sie angehalten, bei den Betrieben zu konsumieren oder einzukaufen. Das machen wir sehr gerne und genießen das idyllische Bauerncafé unter alten Bäumen. Claus verzehrt mit Begeisterung selbstgemachte Reibekuchen und fühlt sich wie ’ne echte kölsche Jung.

Der Bauernhof hat vier Stellplätze auf einer Wiese, aber wir sind ganz allein mit Blick auf die Thüringer Ziegen, Hühner und Gänse. Die pure Idylle, wenn da nicht die Hochspannungsleitung direkt nebenan gewesen wäre, die permanent surrt.

Idylle mit Hochspannungsmast

Bei einer kurzen Fahrradtour Richtung Haaren fallen die unzähligen, perfekt ausgeschilderten Radwege auf, beneidenswert. Es gibt überall Bäche und Kanäle, an denen man entlangfahren kann. Mehrere Betriebe haben mit Schiffsbau zu tun: Werften, Bootsmaschinenbauer, eine Containerfertigung, usw. Man sieht schon: Emden und Papenburg sind nicht weit!

Mittwoch 15.9.

Nach dem Frühstück im Bauerncafé brechen wir Richtung Nordsee auf. Die Fahrt geht erst über die Autobahn und ab Aurich über Landstraßen. Solch schnurgerade Straßen kennen wir bisher nur aus Frankreich. Dort gibt es allerdings keine roten Backsteinhäuschen mit manikürten Vorgärten. 

Wir haben einen Campingplatz in Bensersiel ausgesucht und erwischen doch tatsächlich den letzten freien Platz. In der Nachsaison! Liegt allerdings daran, dass 3/4 des Campingplatzes gesperrt sind, weil der dahinter liegende Deich erhöht wird. Der Zugang zum Meer ist hier eigentlich überall gesperrt, bzw. nur gegen Eintritt möglich. Aber unser Campingplatz liegt hinter dem Deich und hat damit direkten Meerzugang.

Nachdem das Fischbrötchen mittags nicht geklappt hat, gehen wir abends Fisch essen. Der ganze Ort erinnert uns ein bis bisschen an Titisee: lauter Tourifallen… Wir finden ein günstiges Fischlokal in einem Hinterhof, das ganz landestypisch von einer chinesischen Familie betrieben wird. Am Nebentisch sitzt ein älteres Ehepaar, von dem ich nach wenigen aufgeschnappten Worten vermute, dass sie aus Konstanz stammen. Nach dem Essen sprechen wir sie an, und tatsächlich. Genauer gesagt, aus Wollmatingen. Die Welt ist klein!

Donnerstag 16.9.

Wir könnten einen Tag auf dem Campingplatz verlängern, müssten dafür aber den Platz wechseln. Das machen wir nicht, sondern fahren stattdessen nach Wilhelmshaven, um Schiffe zu gucken. Der Stellplatz liegt am sogenannten Südstrand auf dem Deich mit unverstelltem Blick auf den Jadebusen. Es windet, es regnet, die Sonne scheint, und wieder von vorne.

Zunächst beschäftigen wir uns ausführlich mit dem Parkschein, der hinter die Windschutzscheibe gerutscht ist und erst nach diversen Versuchen (Messer, Staubsauger, Gebläse) wieder zu retten ist.

Dann spazieren wir dem Südstrand und der Strandpromenade entlang auf der Suche nach den Schiffen. Hier gibt es allerdings nur die Fregatten eines Militärmuseums. Die großen Tanker, erfahren wir, liegen gar nicht in Wilhelmshaven, sondern 6 km außerhalb im sogenannten Ölhafen. Na ja, hätten wir mal besser recherchiert.

Dafür beeindruckt uns die Kaiser-Wilhelm-Brücke, eine Drehbrücke, die 1906 erbaut wurde. Sie steht heute unter Denkmalschutz und wurde vor einigen Jahren aufwändig restauriert. Abends genießen wir von unserem Platz in der ersten Reihe das Dunkelwerden über dem Meer.

Freitag, 17.9.

Wir sind gegen 13 Uhr in Bremen. Der dortige Stellplatz ist riesig, liegt aber trotzdem irgendwie idyllisch unter Bäumen und zwischen zwei großen Kleingartenanlagen nahe der Weser. Ein Fußweg führt zur Weser und zu einer kleinen Fähre.

Auf der anderen Seite können wir dem Fluss entlang Richtung Stadt laufen. Wir besichtigen den ältesten Stadtteil von Bremen, das sogenannte „Schnoor“-Viertel, und die Altstadt um das Bremer Rathaus. Das Wetter ist perfekt – der blaue Himmel bildet einen wunderbaren Kontrast zur roten Backsteinarchitektur.

Schnoor-Viertel in Bremen
Marktplatz in Bremen

Im hippen „Viertel“  (das einfach nur „Viertel“ heißt) essen wir bei einem Asiaten sehr knusprige Ente, sitzen vor dem Restaurant, lassen Leute und Autos an uns vorbeiziehen und lernen interessante neue Worte und Bedeutungen wie „schnorrig“ (= blöd), „wild“ (= toll) und „fühlen“ (= gut finden).

Samstag, 18.9.- Sonntag 19.9.

Nach einem Besuch in Oldenburg ziehen wir weiter, zunächst ohne konkretes Ziel. Die grobe Richtung ist Hamburg und eventuell Ostsee. Soweit kommen wir aber gar nicht, sondern finden einen Campingplatz bei Lüneburg. Wir werden erst mal überlegen, wohin wir eigentlich fahren wollen. Der platte Norden ist vielleicht doch nicht unsere bevorzugte Gegend.

Die Entscheidung fällt recht schnell und einmütig beim Abendessen: Wir fahren wieder Richtung Süden. Langsam, möglichst über Landstraßen. Endziel ist Schloß Linderhof, wo wir am letzten Wochenende verabredet sind.

Montag, 20.9.

Vom Campingplatz aus fahren wir zunächst ins Städtchen, um uns die Altstadt von Lüneburg anzuschauen. Auch Lüneburg ist eine Hansestadt (vermutet man gar nicht), wurde im 2. Weltkrieg kaum beschädigt und hat heute eine wunderbar restaurierte Altstadt mit markanten Fassadengiebeln, meist aus Backstein. Auf dem zentralen Platz „Am Sande“ reiht sich ein Schmuckstück ans andere.

Auf dem Weiterweg entdecken wir das zentrale Hochschulgebäude, das von Daniel Libeskind entworfen wurde. Unverkennbar Libeskind, das sehen sogar wir Laien. Allerdings ist es weniger berühmt geworden wegen der markanten Form des Gebäudes und seiner raffinierten Fassade aus verzinkten Blechelementen. Sondern vielmehr wegen der skandalöse Auftragsvergabe, intransparenten Finanzierung und horrenden Überschreitung der Baukosten. 

Wir fahren durch die Lüneburger Heide nach Süden und genießen die Fahrt mit wenigen Sonnenstrahlen. In einem Ort namens Ohre machen wir Pause und plaudern mit einem alten – sagt man Ohrener? – über die Kirche aus dem 12. Jahrhundert.

Die Kirche von Ohre aus dem 12. Jahrhundert.

Wir fahren an Wolfsburg vorbei und sehen nur noch VWs auf der Straße- gelegentlich mal einen Seat. Als wir aus Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt fahren, fallen plötzlich andere Wahlplakate auf. Statt CDU und SPD dominieren hier klar AfD und Linke. 

Mit Landvergnügen finden wir unseren nächsten Stellplatz bei einem Fischer in Köthen, kurz vor Dessau. Er fischt auf der nahegelegenen Elbe Zander, Karpfen und Welse, deponiert die Fische in seinem kleinen Teich in Reusen und schlachtet sie erst auf Kundenanfrage. Die Fische werden frisch verkauft oder ganz traditionell über Buchenholzfeuer geräucherte. In seinem Fischladen kaufen wir erst mal ein: frisch gefangene und -geräucherte Fische. Klar, was es heute Abend zum Essen gibt. 

Dienstag, 21.9.

Wir fahren nach Dessau und besichtigen das Bauhaus und die sogenannten Meisterhäuser.

Beim Bauhaus beeindruckt erwartungsgemäß die konsequente formale Umsetzung der Funktion des Gebäudes, das aus drei ineinandergeschobenen Riegeln besteht. Viele Details wie Beleuchtung und Belüftung sind extrem ausgeklügelt und für die damalige Zeit bahnbrechend.

Eine temporäre Ausstellung widmet sich der Stoff- und Tapetenherstellung. Die Textildesigner(innen) entwickelten blickdichte bis transparente neue Stoffe (Gittertüll!) und experimentierten mit neuen Materialien wie Kunstseide, um die Herstellungskosten der Stoffe zu senken. Auch die Tapeten sollten die bisherige Handbemalung der Wände ersetzen und der breiten Bevölkerung kostengünstige ästhetische Lösungen anbieten. Von den Bauhaus-Männern ein klein wenig herablassend belächelt, hatten die Weberinnen um Gunta Stölzl als einzige echten wirtschaftlichen Erfolg mit dem Verkauf ihrer Produkte.

Im Keller gibt es eine Ausstellung über die „Archäologie der Moderne“, in der die Materialien und Produktionsweisen der Bauhausarchitektur gezeigt werden. Hier wird anschaulich, wie z.B. Walter Gropius die Bauprozesse bei seiner Reihenhaussiedlung Dessau-Törten extrem rationalisiert und damit verbilligt hat. So wurden z.B. die tragenden Wände aus Hohlblocksteinen errichtet, die vor Ort im Akkord aus Schlackenbeton angefertigt wurden. Die Hohlblocksteine waren so groß, dass der Bauprozess beschleunigt werden und durch die Hohlräume so leicht, dass sie von einem Arbeiter getragen werden konnten. Die ganze Siedlung mit insgesamt 312 Reihenhäusern wurde in drei Jahren errichtet, für die 20er Jahre eine Rekordzeit. Die Häuschen hatten einen raffiniert konzipierten Grundriss und jeweils ein Nutzgärtchen, in dem sich die Bewohner mit Obst und Gemüse versorgen und Kleintiere halten konnten. Zementestrich, Glasbausteine, filigrane Stahlprofile für großflächige Fenster – alles „Erfindungen“ der Bauhauszeit. Dass das Streben nach kosteneffizientem Bauen „für das Volk“ später bis zum Plattenbau pervertiert wurde, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Bei den Meisterhäusern sind die Häuser von Walter Gropius und Moholy-Nagy nach Zerstörung als reine Hüllen neu errichtet worden und dienen heute als Ausstellungsräume.

Das Doppelhaus von Paul Klee und Wassiliy Kandinsky ist das einzige, das in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden konnte. Hier ist das Raumgefühl der ineinander geschobenen Baukuben noch spürbar. Die Räume sind ganz unterschiedlich dimensioniert – große Atelierräume, kleine Schlafzimmer, dto. die Fenster. Auch hier wurden raffinierte Details entwickelt, wie z.B. Heizkörper mit Belüftungsgittern oder zweiseitig nutzbare Wandschränke. Beide Häuser bestechen durch intensive Wand- und Deckenfarben und durch farbige Linoleumböden. Ist auch klar bei Klee und Kandinsky. Allein Kandinski hat über 170 Farben in seinem Haus verwendet – und offenbar häufig umgestrichen.

Tragischerweise wurden die Häuser nur ganz kurze Zeit von den namensgebenden „Meistern“ bewohnt, nämlich maximal drei Jahre. Danach mussten alle vor den Nazis fliehen. Das Gropius-Haus wurde im Krieg vollständig zerstört, und an seiner Stelle ein konventionelleres Haus mit Pultdach errichtet. Die anderen Häuser wurden von den Generationen, die danach in ihnen wohnten, verändert.

Wir beschließen kurzfristig, den ganzen Tag in Dessau bleiben und auch noch das Bauhausmuseum zu besuchen. Auf einer kleinen Halbinsel in der Elbe finden wir einen ganz wunderbaren Stellplatz. Das Halbinselchen bildet eine natürliche Bucht, in der ein Sportboothafen liegt. Wir stehen direkt am Wasser – vor uns der Hafen, hinter uns die Elbe. Praktisch direkt gegenüber auf der Landseite ist noch ein weiteres (neu restauriertes) Bauhausgebäude, das Kornhaus, ein Ausflugslokal mit rundem Glaspavillon. Die Elbe bildet an dieser Stelle eine Schlaufe, Knie genannt, auf der im Sommer Speedboot-Rennen gefahren.

Mit dem Fahrrad geht es zum Bauhaus-Museum, das sich dem vielfältigen Schaffen der Bauhäusler widmet, von der Weberei über Grafik, bildende Kunst, Möbelbau, Architektur, Städtebau, etc. Es sind viele Möbelprototypen zu sehen, die nicht in Serie gingen und weniger bekannt sind – vor allem von Marcel Breuer.

Mittwoch, 22.9.

Am nächsten Morgen fahren wir weiter nach Süden bis zu einem (Landvergnügen-) Stellplatz in Oberfranken nahe der tschechischen Grenze. Es ist der Hobby-Landwirtschaftsbetrieb einer Familie mit vier Kindern, diversen wunderschönen Hühnern, Ziegen, Hunden und Katzen.

Eine Idylle, in der die Kinder auf einem riesigen Grundstück und in landwirtschaftlich geprägter Umgebung frei und wild aufwachsen können. Und das sind sie auch: wild! Vor allem der mittlere Bub ist ein echter Satansbraten. Die Kinder nötigen mich zum Maisklauen, wobei sie erst behaupten, sie dürften das, und später gestehen, dass das Ärger gebe (wir vereinbaren Stillschweigen), erklären Claus, wie man mit Maiskörnern an einem Faden fischt (ohne Resultat, aber das ist auch gut so, weil Fischen auch Ärger geben würde) und erklären uns kurz darauf, dass ihre Eltern und die Oma weggefahren, weil ja jetzt Erwachsene zum Aufpassen da seien.

Wir treffen ein anderes Camper-Pärchen, das am Wochenende zuvor geheiratet hat und auf Flitterwochen ist. In der Abendsonne trinken wir ein Bier, das uns eines der Kinder fachgerecht zapft. Die Familie bietet nämlich nicht nur frische Eier und Wurst aus eigener Herstellung an, sondern hat auf dem Hof noch einen Profi-Bierwagen stehen, an dem Familie, Freunde und Camper versorgt werden können. Dank Landvergnügen ist man ja zum Konsumieren aufgefordert, und dem gehen wir sehr gerne nach.

Abends noch eine Schrecksekunde, weil wir bemerken, dass unsere Gasflasche leer ist. Vor lauter Panik befürchten wir nicht nur kalte Küche und kaltes Wasser, sondern auch keine Heizung. Letzteres stimmt ja nicht, weil wir eine Dieselheizung haben, aber in der Panik… Die frisch Vermählten helfen uns netterweise mit einer Ersatz-Gasflasche aus. Bei einer Flasche Wein lassen wir den Abend bei den Flitternden ausklingen und erfahren viel über Hundeerziehung, Pferde und Reiten. Außerdem empfehlen sie uns einen Stellplatz im Bayerischen Wald, den wir als Nächstes anfahren wollen.

Donnerstag, 23.9. bis Montag 27.9,

Sonne! Das erste Mal in diesem Urlaub können wir in der Sonne draußen frühstücken, ein ganz, ganz anderes Lebensgefühl! 

Wir verabschieden uns von den Hochzeitern und stellen uns der wichtigsten Aufgabe, dem Kauf einer neuen Gasflasche. Näheres dazu unter:

Strom, Wasser, Diesel und Gas im WoMo

In Kollnburg im Bayerischen Wald sind wir wieder bei einer Landvergnügen-Adresse und werden herzlich empfangen von Franz und Maria, die einen Bio-Milchbetrieb mit 30 Milchkühen bewirtschaften. Maria hat einen kleinen Hofladen, in dem sie Rohmilch (schon mal probiert? Hat mit gekaufter Milch nichts zu tun!) selbstgemachtes Eis (das beste, das wir je gegessen haben), Eier, sowie Fleisch „vom Metzgereifachbetrieb unseres Vertrauens“ verkauft. Wir nehmen von allem und lassen uns den Weg zum Stellplatz beschreiben. Der ist nämlich gar nicht beim Hof, sondern auf einem verlassenen Anwesen am Waldrand. Auße 8 Jungkühen, die hier weiden, ist hier nichts und niemand. Es gibt einen geschotterten Stellplatz, einen Brunnen mit Trinkwasser, Strom und eine Feuerstelle. In der Nähe rauscht ein Bach, die Wanderwege beginnen am Haus.

Ein traumhafter Stellplatz!!

Was soll ich sagen: Für uns ist es das Paradies! Wir sind beide völlig im Glück. Franz kommt mehrmals auf einen Schwatz vorbei, meist begleitet von einem seiner vier Kinder. Der Älteste hat gerade eine Lehre als Landwirtschaftsmaschinenmechatroniker begonnen und erklärt uns, dass Fendt-Traktoren die einzig wahren Landmaschinen seien (nix John Deere). Die 13jährige Tochter kennt nach Aussage ihres Vaters alle Kühe samt Eltern und Großeltern und kann bereits selbständig melken. 

Wir lernen, dass eine Bio-Kuh 10 bis 12 Jahre lebt und jährlich 5500 bis 6000 l Milch gibt, die für 50 Cent pro Liter verkauft wird, und dass sie im Laufe ihres Lebens etwa 8 Kälber trägt. Im Gegensatz dazu wird eine Milchkuh in traditioneller Landwirtschaft nur 4 bis 4 1/2 Jahre alt, weil sie so auf Hochleistung getrimmt wird, dass sie bis zu 12000 l Milch im Jahr gibt (35 Cent pro Liter), zwei Kälber gebiert und danach „fertig“ ist. Arme Kühe. Wenn man das hört, mag man keine normale Milch mehr kaufen. Die Aufzucht der Jungkühe dauert 2 Jahre. In der Zeit tragen sie ein Kalb, geben aber noch keine Milch, kosten also Geld. Gerne würden wir eine genauere Rechnung aufstellen, aber dazu müssten wir wissen, wieviel Kosten pro Kuh jährlich für Futter und Wasser anfallen. Franz jedenfalls bestätigt unsere überschlägige Kalkulation und erklärt, dass man von Biolandwirtschaft durchaus gut leben könne. Voraussetzung dafür ist allerdings genügend Land, um das eigene Futter und Stroh zu produzieren und um die Jungkühe weiden zu lassen. Mehrkosten entstehen durch die Weidezäune, aber Franz ist Elektriker und hat Spaß am Zaunbauen. Dafür hat er nur noch ein Viertel der Kosten für Tierarzt und Medikamente im Vergleich zu konventioneller Landwirtschaft, weil die Tiere immer draußen und topfit sind.

Während die Biolandwirtschaft offiziell von Maria betrieben wird, arbeitet Franz zusätzlich im eigenen Wald. Die Bäume müssen ständig beobachtet und auf Borkenkäferbefall kontrolliert werden. Hat „der Käfer“ den Baum erwischt, muss dieser so schnell wie möglich gefällt werden, um weiterem Schaden vorzubeugen, was mitunter ein Wettlauf gegen die Zeit ist. Da 70 Jahre zuvor hier in der Gegend vorwiegend Fichtenwälder gepflanzt wurden, sind die Wälder besonders anfällig. Wir fragen, welche Baumarten Franz neu anpflanzt, um die Fichten zu ersetzen und sind erstaunt zu hören, dass er gar nichts tut. Stattdessen überlässt er den Wald sich selbst und wartet ab, was von selbst wächst. Das klingt doch nach einem Paradigmenwechsel gegenüber den Altvorderen.

Auch die bayerische Forstverwaltung ist derzeit am Fällen von Bäumen, was ich überall im Wald hören kann. Es wird dabei eine Maschine eingesetzt, die mich stark an Transformers erinnert. Ein hochtechnisierten Kraftpaket mit 8 Traktorrädern, vier vorne, vier hinten, vorne zusätzlich mit Ketten wie bei einem Panzer. Damit kommt das Monster überall durch, was man an tiefen Furchen erkennen kann, die durch den Wald gepflügt werden. Der kranartige Greifarm hat eine Kettensäge und Krallen, mit denen der Baum in einem Arbeitsgang gefällt und abtransportiert werden kann. Franz erklärt mir, dass man mit so einer Maschine in 50 Sekunden einen Baum fällen, entasten und in gleich lange Stücke sägen kann, wofür er im besten Fall 20 Minuten braucht (was mit auch schon schnell vorkommt). Dass die Monstermaschine (die übrigens Harvester heißt) von John Deere und nicht von Fendt ist, ist natürlich ein kleiner Rückschlag für die Begeisterung. https://www.youtube.com/watch?v=tugQstNcUvw

Am Samstag fahren wir zum Einkaufen. Wir haben Glück, weil Maria ihren Back-Tag hat. Einmal pro Monat bäckt sie 60 Laibe Roggenbrot im Steinbackofen. Wir kommen gerade rechtzeitig, als sie mit roten Backen die Laibe aus dem Ofen holt. Das frische Brot duftet das Womo voll, und wir können es kaum erwarten. Sie schenkt uns außerdem einen sogenannten Sengzelten – die bayerische Version des Dinnele. Sie bäckt die Fladen aus Teigresten, bevor die Brote selbst in den Ofen wandern.

Es ist auffällig, wie viele Neophyten es in dieser Gegend gibt. Neophyten sind eigentlich nur Pflanzen aus anderen Ländern. Zum Teil wurden sie als Nutzpflanzen (Kartoffeln, Tomaten, Mais u.a.) oder als Zierpflanzen importiert. Manche Sorten werden versehentlich eingeschleppt, und einige wenige davon vermehren sich invasiv und verdrängen heimische Pflanzarten. Am auffälligsten im Bayerischen Wald ist das Indische Springkraut, das sehr hübsche rosafarbene Blüten hat, einen intensiven süßlichen Duft verströmt und offenbar besonders süßen Nektar hat. Es wird deshalb bevorzugt von Insekten angeflogen und bestäubt. Die Samenkapseln „explodieren“ bei der kleinsten Berührung und schleudern die Samen bis zu 6 m weit – deshalb der Name. In der Schweiz werden Neophytin wie das Springkraut aktiv bekämpft – hier scheint man den Kampf aufgegeben zu haben. Es gibt ganze Felder mit den rosafarbenen Blüten – die Invasion ist längst im Gange.

Abends regnet es. Zum ersten Mal können wir nicht – wie an den Abenden zuvor – unser eigenes Lagerfeuer machen und an der Feuerstelle sitzen. Stattdessen verfolgen wir das Ergebnis der Bundestagswahl auf unseren Handys.

Montag, 27.9.

Wir müssen Grauwasser entsorgen und Wäsche waschen. Schweren Herzens verlassen wir unseren Lieblingsstellplatz, um einen Campingplatz anzusteuern. Bevor wir losfahren, kommt Franz netterweise nochmal vorbei, um sich zu verabschieden. Das endet in einem 1 1/2-stündigen Schwatz über Gott und die Welt, über Landwirtschaft nach dem Mondkalender und über nette und weniger nette Camper. Franz imponiert uns mit seinen Weisheiten („Wir besitzen nichts, wir haben nur das Recht auf Bewirtschaftung“) und mit seiner gelebten Vorstellung von Work-Life-Balance. Er arbeitet viel, aber er nimmt sich auch Zeit für Gespräche wie die mit uns. 

Kollnburg ist im „hinteren Wald“. Wir fahren südlich nach Bernried im „vorderen Wald“. Obwohl der Ort nur ca. 25 km entfernt liegt, ist es hier doch ganz anders. Das Dorf liegt am Südhang des Hirschsteins, auf den ich am Samstag von Norden aus gelaufen bin. Hier ist es offener, lichter, und man hat schönere Ausblicke. Wir landen auf einem kleinen Campingplatz mit sehr netter Betreiberin, der von (derzeit nicht anwesenden) Dauercampern geprägt ist. Jeder Dauercamper hat sich hier sein eigenes kleines Idyll gebastelt – oder das, was er dafür hält.  My campsite is my castle… hier kann jedermann und -frau buchstäblich nach seiner/ihrer eigenen Fasson glücklich werden. 

Die Sonne kommt raus, gleichzeitig brauen sich dunkle Wolken über den Bergen zusammen. Ich mache noch eine kleine Wanderung, werde ein bisschen nass, während gleichzeitig die Sonne scheint, und genieße wunderbare Ausblicke. Claus kümmert sich derweil zusammen mit der Betreiberin um unsere Wäsche.

Dienstag, 28.9.

Wir wachen bei dichtem Nebel auf und geben den ganzen Tag die Hoffnung nicht auf, dass er sich verzieht. Tut er aber nicht – es bleibt stark bewölkt und neblig in den Bergen. Nix mit Wanderung also. Wir waschen, plaudern, lesen, schreiben – und ich drehe am späten Nachmittag noch eine Runde. 

Mittwoch, 29.9.

Wir fahren Richtung Alpen. Die Idee ist, dass wir in einem Rutsch um München herum nach Oberammergau fahren und dort bis zum Linderhof-Wochenende bleiben.

Vor der Abfahrt lassen wir das Grauwasser ab – und riechen faule Eier. Na ja, auch das eine neue Erfahrung: Der Abwassertank kann stinken. Wir beschließen einen Umweg zu fahren, um in einem Campingladen ein Anti-Stink-Mittelchen zu erstehen. Es ist wie immer, die Fahrt dauert ewig, weil alles länger dauert als gedacht und wir uns natürlich einmal verfahren. Gegen 17 Uhr sind wir in Oberammergau auf dem Campingplatz. Es ist kalt! Meine Güte, wir haben doch erst Ende September. Wir haben keine Lust zu kochen, laufen zum nächstgelegenen Lokal, trinken ein Bier und essen Schnipo (Claus) und eine Schweinshaxe (ich). Heute ist definitiv kein Vegi-Tag. Claus harrt noch vor dem Womo aus, bevor er als Eiszapfen ins Bett kommt (Stichwort: Eisknie)

Donnerstag, 30.9.   

Es ist auch morgens richtig kalt. Und der Himmel bewölkt. Nach Frühstück und Aufräumen laufen wir ins Dorf. 

Oberammergau ist natürlich vor allem berühmt für die Passionsspiele, die auf einen Schwur der Gemeinde von 1633 zurückgehen. Als das Dorf mitten im 30jährigen Krieg auch noch von der Pest heimgesucht wurde, gelobten die Einwohner, alle 10 Jahre das Leben und Leiden Christi aufzuführen, wenn kein Bewohner mehr an der Pest sterben würde. Der Überlieferung nach scheint das geklappt zu haben. Bereits im 19. Jahrhundert zogen die Spiele immer mehr Besucher aus allen Teilen Deutschlands an und wurden schließlich zu einem der frühen touristischen Ziele in Bayern. So übernahm der Reiseveranstalter Thomas Cook die Passionsspiele in sein Programm auf.

Auch heute werden die Passionsspiele von Oberammergauern aufgeführt. 2000 Mitwirkende – Schauspieler, Chorsänger, Orchestermusiker, Feuerwehrleute, Platzanweiser – bringen das Mammutschauspiel auf die Bühne. Halb Oberammergau ist beteiligt.
Das Passionsspiel beginnt mit dem Einzug in Jerusalem und erzählt die Passionsgeschichte über das Abendmahl hin bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Jeder Szene ist ein Auftritt des Chores mit einem lebenden Bild (Tableau vivant – Darstellung von Gemälden durch lebende Personen) vorangestellt, das Szenen aus dem Alten Testament darstellt. Die nächsten Passionsspiele sind von Mai bis Oktober 2022 und werfen bereits jetzt ihren Schatten voraus.

Während das Dorf während „der Passion“ im Ausnahmezustand ist, ruht es während unseres Besuchs im frühherbstlichen Schlaf. Der Ort ist so, wie man sich bayerische Alpenorte vorstellt: Lüftlmalereien an stattlichen Häusern, Kirche mit Zwiebelturm, einschlägige touristische Etablissements zum Verkauf von Schnitzereien, Devotionalien und Dirndln. Als wir auf einem Platz einen Kaffee trinken, kommt die Sonne raus. Die Temperatur steigt sofort ins Angenehme, die Lüftlmalereien sehen plötzlich sehr anheimelig aus, die allgemeine Laune steigt spürbar.

Für eine größere Wanderung ist es schon zu spät, deshalb gibt es nur eine kleine Runde zum Kloster Ettal. In dem Benediktinerkloster leben immer noch etwa 50 Mönche, die sich dem Brauen von Klosterlikeur, dem Anbau vielfältiger Kräuter und vor allem der Lehre widmen. Kloster Ettal ist ein bekanntes katholisches Internat und Gymnasium. Die Ettaler Basilika beeindruckt durch ihre kreisrunde Form und einen gigantischen Kronleuchter in der Mitte.

Freitag, 1.10.

Nach einer kalten Nacht scheint gleich morgens die Sonne. Sobald sie über den Berg wandert, wird es warm und angenehm. Wir machen einen neuerlichen Spaziergang nach Oberammergau und entdecken einen hübschen Fußweg entlang der Ammer. Bei stahlblauem Himmel und Sonnenschein wirken die bunt bemalten Häuser noch eindrücklicher. 

Ich mache noch eine kleine, aber steile Wanderung über die sogenannte Kreuzigungsgruppe zur Kolbensattelhütte.

Die Kreuzigungsgruppe aus Marmor hat Ludwig II. der Gemeinde Oberammergau gespendet, nachdem er 1871 von einer Privatvorführung (!) der Passionsspiele tief berührt war. Er ließ die Skulptur in München anfertigen, suchte den geeigneten Standort in Oberammergau aus und ließ die tonnenschweren Teile (allein die Figur Jesus am Kreuz wiegt 600 Zentner) 1875 nach einem komplizierten Transport aufstellen. Die Figurengruppe war damals das größte Steindenkmal der Welt. Ludwig besuchte übrigens in den darauffolgenden Jahren die Kreuzigungsgruppe regelmäßig zu einer privaten Andacht, bis er von zu vielen Schaulustigen vertrieben wurde. 

Auf der Kolbensattelhütte gibt es nach rund 500 Höhenmetern nicht nur einen Kaffee und Apfelstrudel, sondern auch eine Seilbahn, die ich kurzerhand nach unten nehme.

Samstag, 2.10.

Wir fahren nach Murnau am Staffelsee. Die Sonne scheint, die Fußgängerzone ist ganz reizend und bietet phantastische Blicke in Richtung Alpen, die von dieser Perspektive aus von den Expressionisten die „blauen Berge“ genannt wurden. Wir besichtigen das sogenannte Münter-Haus am Ortsrand.

Blumendrondell im Garten des Münterhauses mit Blick auf Murnau.

Die Malerin Gabriele Münter kaufte das Haus 1909 und lebte darin mit ihrem damaligen Lebensgefährten Wassily Kandinsky bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914. Es waren produktive Jahre für beide. Münter und Kandinsky entwickelten in diesen Jahren ihre jeweiligen künstlerischen Stile entscheidend weiter, und Kandinsky gründete zusammen mit Franz Marc 1912 die Künstlervereinigung Blauer Reiter. Münter und Kandisky arbeiteten aber auch intensiv im Garten, legten ein Rondell mit Blumen und Nutzpflanzen an, bemalten Möbel und Treppengländer und erkundeten die bäuerliche Kunst der Hinterglasmalerei. Das Haus zeigt heute (wieder) die Atmosphäre der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und bietet einen einzigartigen Rahmen, um die Kunst vor allem von Gabriele Münter verstehen zu können.

Interessanterweise ist es das zweite Dominzil von Kandinsky, das wir auf dieser Reise stilistische Welten – auch wenn er seine Freude an Farben in beiden auslebte.

Die Beziehung zwischen Münter und Kandinsky endete unschön und mit langjährigem Rechtsstreit. Münter lebte danach viele Jahre im Ausland und in verschiedenen deutschen Städten, bevor sie 1931 wieder in das Haus in Murnau zog. Sie hatte den Großteil der Werke Kandinskys aus ihrer gemeinsamen Zeit zugesprochen bekommen und versteckte diese im Keller ihres Hauses in Murnau vor den Nationalsozialisten. Erst Ende der 50er Jahre zeigte sie dem damaligen Leiter des Münchner Lenbachhauses die Schätze in ihrem „Millionenkeller“ und vermachte sie später dem Lenbachhaus.

Sonntag, 3.10.

Der Sonntag ist dem Besuch von Schloss Linderhof gewidmet, das weit hinten in einem Tal im Ammergebirge liegt. Das Schloss wurde von König Ludwig II als privater Rückzugsort erbaut und war sein Lieblingsschloss.

Im Grunde war König Ludwig II von Bayern eine tragische Figur. Durch den frühen Tod des Vaters kam er bereits mit 18 Jahren auf den Thron, musste aber kurz darauf nach einem verlorenen Krieg einen Teil seiner Souveränität an Preußen abgeben. Der Machtverlust frustrierte ihn so sehr, dass er die Lust am Regieren verlor und sich immer mehr in seine privaten Gegenwelten flüchtete. Mit immensem finanziellem Aufwand erbaute er sich seine Träume: Schloss Neuschwanstein, in dem er sich als König des Mittelalters fühlte, und die Schlösser Linderhof und Herrenchiemsee, in denen er als absolutistischer Herrscher leben konnte. Seine Aufgaben in der Residenzstadt München wurden derweil von seinen Ministern und von seinem Cousin, dem Prinzregenten Luitpold, übernommen.

Schloss Linderhof war Ludwigs persönlichster und privatester Rückzugsort. Das Schloss selbst ist als „Königliche Villa“ und barockes Lustschlösschen konzipiert (also eigentlich recht klein) und hat im Inneren und Äußeren zahlreiche Bezüge zu Versailles und den absolutistischen Königen von Frankreich. Bereits im Vestibül wird man von einem Reiterstandbild Ludwigs XIV. empfangen. Die goldüberladene Pracht mit aufwändigen Schnitzereien, Stuckarbeiten, gigantischen Kronleuchtern und kostbarsten Porzellanvasen in den Privaträumen ist absolut atemberaubend. Tagsüber schlief Ludwig, nachts war er wach und bemühte sich, niemanden sehen zu müssen. Die Diener mussten in „Kabinetten“ zwischen den eigentlichen Wohnräumen ausharren, bis er sie brauchte. Um ungestört speisen zu können, ließ er sich ein sogenanntes „Tischlein-deck-Dich“ einbauen: Der Esstisch konnte nach unten gekurbelt und fertig gedeckt wieder nach oben gefahren werden. 

Wirklich beeindruckend ist die Lage dieses Schlösschens in einem weitläufigen Park mitten in den Bergen. Der Park direkt vor und hinter dem Schloss ist als barockisierende Gartenanlage konzipiert, mit Wasserbecken, Springbrunnen und einem achsial angelegten Terrassengarten.

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Der Rest des Parks ist nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten strukturiert und hat mehrere „Ausflugsziele“ – Bauwerke, die ganz eigene Phantasieorte darstellen.

Das Marokkanische Haus und der Maurische Kiosk waren beides Ausstellungspavillons auf der Weltausstellung in Paris. Ludwig kaufte sie, ließ sie im Park von Linderhof aufstellen und im Inneren prunkvoll ausstaffieren. Ludwigs Vorliebe für Kulturen des Orients teilte er übrigens mit vielen seiner Zeitgenossen.

Ein Kontrastprogramm zu den beiden prachtvollen orientalischen Gebäuden sind die „Hundighütte“ und die „Einsiedelei des Gurnemanz“ im altgermanischen Stil. Die Hundinghütte wurde nach den Angaben Richard Wagners zum Schauplatz des ersten Aufzugs der „Walküre“ errichtet. Sie zitiert also ein Bühnenbild Wagners, einen roh gezimmerten Wohnraum mit einer Esche, Bärenfellen und Geweihlüstern. Die Einsiedelei des Gurnemanz geht auf ein Bühnenbild im Parsival zurück.

Das technisch anspruchsvollste und interessanteste „Gebäude“ ist die sogenannte Venusgrotte, die Ludwig einerseits nach dem Bühnenbild aus Tannhäuser gestalten ließ, die aber gleichzeitig der Blauen Grotte von Capri nachempfunden ist. Für die künstliche Grotte mit 90 m Länge und 14 m Höhe wurde ein Bauplatz in den Fels gesprengt und darüber eine riesige Halle aus Ziegeln mit Pfeilern und Gewölben errichtet. Unterhalb des Gewölbes montierte man eine Netzkonstruktion aus verschieden starken Eisengeflechten und -Stäben, an der Sackleinen angebracht wurde, das mit einem Zementgemisch beworfen oder übergossen wurde. Mit diesem Verfahren wurde die künstliche Grotte mit Stalaktiten und Stalagmiten gestaltet. Von oben wurde die Halle mit Erde bedeckt und bepflanzt, so dass sie von außen nicht mehr zu erkennen war. Die Eingangstür wurde mit künstlichen Felsen verkleidet.

In der Grotte war ein künstlicher See. Sieben versteckte Kachelöfen heizten die Grotte auf 20 Grad Raumtemperatur, der See konnte mit einer Heizungsanlage bis auf 35 Grad erwärmt werden, damit der König darin baden konnte. Der Holzbedarf für beides war immens. Eine Wellenmaschine bewegte das Wasser, es gab einen künstlichen Wasserfall und eine Nebelmaschine. Eine technische Meisterleistung – und die erste ihrer Art in Bayern überhaupt – war die Beleuchtung der Grotte, die der König 1881 elektrisch umrüsten ließ. In einem Maschinenhaus oberhalb der Grotte produzierte eine Dampfmaschine mit 12 Dynamos elektrischen Strom. Kohlebogenlampen erhellten die Grotte, und bunte Glasaufsätze tauchten sie in unterschiedliche Farben. In einem Kahn konnte sich der König über den See fahren lassen und auf der gegenüberliegenden Seite auf dem „Loreleyfelsen“, dem Kristallthron, Platz nehmen und die Grotte in unterschiedlichen Lichtstimmungen auf sich wirken lassen.

Die Konstruktion der Venusgrotte war von Anfang an problematisch, weil sie nicht vollständig abgedichtet werden konnte und immer wieder von oben Wasser eintrat. Seit 2015 wird sie komplett saniert und soll 2024 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Mobiliar der Grotte wird ebenfalls restauriert.

Der Besuch auf Schloss Linderhof – und die fachkundige Führung durch eine Freundin – sind der krönende Abschluss unserer Reise durch Deutschland. Nach einer kleinen Stärkung am Ende unserer Besichtigung fahren wir Richtung Bodensee. Wir können das Ammertal weiterfahren, queren ein Stückchen Tirol und kommen über Füssen, Lindau und Bregenz wieder nach Hause.

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