Samstag, 30.9.
Es ist alles erledigt, was erledigt werden musste. Wir können wieder los* und tauen zum dritten Mal den Kühlschrank ab.
(*Anmerkung: Eigentlich war geplant gewesen, vom 10.9. bis zum 20.10. „durchgehend“ wegzufahren. Aufgrund zweier wichtiger Termine mussten wir aber die Reise neu planen und 2x kurz mit einem Stop-over daheim unterbrechen).
Unser erstes Ziel ist nun Besançon in der Franche-Comté. Nicht so weit weg, aber schon richtig Frankreich. Bisher sind wir hier nur immer vorbeigefahren, diesmal bleiben wir zwei Nächte, um uns das Städtchen anzuschauen.
Am ersten Abend haben wir keine Lust auf Kochen und gehen ins Campingrestaurant. Falscher Fehler. Selten so schlecht gegessen; das nächste Mal kochen wir lieber wieder selber. Wenigstens ist der Campingplatz recht nett und liegt nahe am Flüsschen Doubs, der gemächlich in vielen Schlaufen Richting Saône fließt.
Sonntag, 1.10.
Bei strahlendem Wetter fahren wir am nächsten Tag dem Doubs entlang nach Besançon. Das ist eine lebendige kleine Stadt, früher das Zentrum der französischen Uhrenindustrie, inzwischen führend in Nano- und Mikrotechnologie.

Sie wird dominiert von einer Festung, die Sébastien de Vauban für Ludwig XIV auf einem Hügel errichtet hat. De Vauban hatte in der Armee erfolgreich 48 Siege über belagerte Städte errungen. Als Bauingenieur für den Sonnenkönig drehte er sein Talent gewissermaßen um und konstruierte komplexe, uneinnehmbare Festungen. Sein „eiserner Gürtel“ sicherte die Grenzen des französischen Königreichs mit 160 Citadellen. In der Festungstadt Neuf-Brisach, die wir letztes Jahr besichtigt haben, konnte de Vauban gewissermaßen die ideale Festungsform auf freiem Terrain realisieren. In Besançon orientierte er sich an den topographischen Gegebenheiten und nützte diese perfekt aus. Die Mauern sind Verlängerungen der steilen Felsen, auf denen sie errichtet sind. Angreifer mussten mehrere Befestigungen und Gräben überwinden, bevor sie auf einem steilen Hang dem direkten Angriff der Verteidiger ausgesetzt waren. Die Citadelle von Besançon wurde nie eingenommen und hielt bis zum ersten Weltkrieg allen Angriffen stand.

Heute ist die Festung ein gut erschlossenes touristisches Ziel. Neben mehreren Museen und Ausstellungen gibt es sogar eine Art Zoo. Vor allem aber beeindrucken die Ausblicke von den Festungsmauern in das Tal des Doubs und auf die Stadt.



Auf dem Weg zur Festung kommt man an der Kathedrale von Besançon vorbei. Drinnen wird gesungen, davor stehen Ministranten in langen Zweierreihen und warten. Wie sich herausstellt, findet an diesem Tag der „Congrès Mission“ statt, und zwar gleichzeitig in neun französischen Städten. Es geht dabei darum, den eigenen Glauben zu bekunden. Und das tun die Leute. Die Atmosphäre in der Kathedrale erinnert fast an ein Rockkonzert, es wird lauthals gesungen, gerufen, getanzt. Zu lauten Gesängen ziehen auch die Ministranten und Priester ein, um Gottesdienst zu feiern.


Montag, 6.10.
Auf unserem Weg Richtung Cevennen machen wir Halt in Cluny, um uns die Klosterkirche anzuschauen. Ich hatte einen Fernsehbericht über diese Kirche gesehen, die vor dem Bau des Petersdoms die größte christliche Kirche der Welt war. War! Heute stehen nur noch Fragmente von dem gigantischen Bauwerk, und es braucht 3D-Animationen, um sich die Ausmaße der usprünglichen Kirche vorstellen zu können. Nachdem die Kirche nach der Säkularisation als Steinbruch gedient hatte, steht heute nur noch ein Turm des Querschiffs. Die Kuppel dieses Querschiffs hat allein schon 30 Meter Raumhöhe im Inneren.



Wir stehen auf einem gemütlichen kleinen Campingplatz unter Bäumen und genießen den lauen Herbstabend. Normalerweise wird es abends und nachts empfindlich kalt, hier ist es mild bis in den späten Abend.

Dienstag, 7.10.
Heute ist ein Fahrtag. Das Wetter ist durchwachsen, gelegentlich tröpfelt es, also perfekt zum Fahren. Wir schaffen es bis zu unserem Reiseziel, der Tarnschlucht. Unterwegs entdecken wir bei einem Rastplatz eine markante rotgestrichene Eisenbahnbrücke, wie sich herausstellt von Gustave Eiffel.


Die meiste Zeit cruisen wir entspannt auf gut ausgebauten Nationalstraßen und kommen in der Auvergne bis auf 1100 Meter Höhe. Die letzten Kilometer zwischen Nationalstraße und Tarnschlucht sind dann aber eine echte Herausforderung für Claus‘ Fahrkünste. Auf winzigen Sträßchen geht es in Haarnadelkurven nach unten. Glücklicherweise fast ohne Gegenverkehr. Nach insgesamt sieben Stunden Fahrt sind wir etwas geplättet und freuen uns über den idyllischen Campingplatz am Tarn – und über Spaghetti mit einem Glas Rosé.
Mittwoch, 8.10. – Freitag 10.10.
Claus genießt die Ruhe am Campingplatz und schließt Freundschaft mit einer kleinen weißen Katze mit blauen Augen.

Ich erkunde die Gegend mit dem Rad. Bei Le Rozier, etwa 5 km flußaufwärts, treffen zwei Täler aufeinander: die Tarnschlucht und das Tal der Jonte.

Auf der anderen Flußseite geht es flußabwärts nach Millau, einem unspektakulären und nicht wahnsinnig schönen kleinen Städtchen. In der ganzen Gegend gibt es unzählige Campingplätze, aber inzwischen fast alle geschlossen*. Das Gleiche gilt für die Restaurants, Kanuverleihe, etc. Die Saison endet Ende September, danach kehrt hier Ruhe ein.


Von Le Rozier aus fahre ich am nächsten Tag der Tarnschlucht entlang. Trotz Landstraße ist kaum Verkehr, und im übrigen gelten in Frankreich 1,50 Meter Sicherheitsabstand beim Überholen von Fahrrädern. Die meisten halten sich daran. In einem Örtchen (Saint Préjet) genehmige ich mir einem Cappucchino und entschließe mich spontan für eine Route, die sich in Serpentinen entlang der Klippen hochschraubt. E-Bike sei Dank sind die 500 Höhenmeter kein Problem (wie hat man das eigentlich vorher gemacht?). Oben gibt es erstmal einen phantastischen Blick in die Schlucht, und dann ist man auf der Hochebene der Kalktafelberge (les Causses).

Im Grunde ist dieser Teil der Cevennen eine karstige Hochebene, die von mehreren Flüssen durchschnitten wird. Der Tarn, die Jonte, der Lot und andere Flüsse haben sich tief in die Kalkschichten gegraben und Schluchten mit phantastischen Felsformationen an deren Rändern geschaffen. Die Plateaus oben sind eher unspektakulär. Die Böden sind närstoffarm und trocken und eignen sich oft nur für Waldwirtschaft und für Viehzucht. Seit Jahrtausenden wurde (und wird zum Teil noch) Viehzucht in Form von Transhumanz betrieben, Wanderviehwirtschaft. Schäfer zogen Hunderte von Kilometern mit riesigen Schafherden bergauf (im Sommer) und bergab (im Winter). Im Gegensatz zu den Almab- und auftrieben in den Alpen wurden die Schafe jedoch nicht immer auf die gleichen Almen getrieben, sondern in freies Gelände. Die Gegend „Les Causses“ und „Les Cevennes“ zählt wegen dieser besonderen Form der Viehwirtschaft zum UNESCO-Weltkulturerbe.


Samstag, 7.10.
Wir verlassen den Campingplatz und das weiße Kätzchen und fahren nach Millau. Wir müssen einkaufen und wollen das berühmteste Bauwerk der Region besichtigen, das Viadukt von Millau. Die 2460 Meter lange Brücke ist die längste Schrägseilbrücke, mit einer maximalem Pfeilerhöhe von 343 Meter die größte Brücke der Welt, das höchste Bauwerk Frankreichs und die höchste Brücke in Europa. Das Viadukt führt die Autobahn A75 über den Tarn. Es wurde vom französischen Brückenbau-Ingenieur Michel Virlogeux in Zusammenarbeit mit Norman Forster entworfen und 2004 von Jacques Chirac eröffnet. Die Brücke dominiert das Tarn-Tal schon von weitem mit ihren filigranen Stahlstreben. Direkt am Brückenkopf gibt es einen Aussichtspunkt, von dem aus man die gewaltigen Dimensionen des Bauwerks erkennen kann.


Als nächsten Halt haben wir uns einen Stellplatz auf der Causse Noir ausgesucht, einem der Kalkplateaus. Der Platz gehört zu einem Landgasthaus, der Auberge du Maubert, und besteht aus einer Wiese mit Bäumen. Sonst nichts. Obwohl noch vier weitere Wohnmobile dort stehen, fühlt es sich an wie Wildcampen. Wir essen abends sehr lecker im Landgasthaus (der langsam geschmorte Rindfleischeintopf – „en daube“- ist ein Gedicht), beobachten eine Schafherde, die mit hellen Glöckchen in schnellem Tempo vorbeizieht, und die dazugehörigen Hüte- und Wachhunde, die vor dem Schäfer mit seinem Auto herrennen. Wie wir von einem Mitcamper erfahren, ist der Hütehund dafür verantwortlich, die Herde zusammenzuhalten und hört auf den Schäfer. Die Wachhunde hingegen sind halbwilde Tiere, die ihr ganzes Leben bei den Schafen verbringen und die Herde beschützen, unter anderem vor Wölfen.
Nach dem Essen sitzen wir vor unserem Wohnmobil, schauen Sterne und hören die Stille. Auch bisher war es ja ruhig, aber die Stille hier hat eine ganz andere Qualität.
Sonntag, 8.10.
Wir machen nochmal einen Abstecher zum Katzen-Campingplatz, auf dem ich meinen Fahrradschlüssel vergessen hatte. Wie gut, dass der nette holländische Nachbar aufgepasst und ihn aufgelesen hat. Im Anschluß fahren wir durch die Tarnschlucht bis zum Örtchen Sainte-Enimie, wo wir auf einem Stellplatz direkt am Fluß übernachten können. Obwohl Sonntag, gibt es kaum Verkehr, und die Fahrt entlang der Flußschleifen und durch die mal enge mal weite Schlucht ist wie ein Roadmovie.

Wie alle Dörfer hier sind die Häuser in Sainte-Enimie aus den Kalksteinen gebaut und mit dem Schiefer gedeckt, die es hier in der Umgebung gibt. Der Ort fügt sich harmonisch in die Umgebung ein und sieht genauso aus, wie man sich ein mittelalterliches französisches Bergdorf vorstellt. Trotzdem überlegen wir, wovon die Menschen hier wohl leben können – außer vom Tourismus.


Montag, 9.10. – Donnerstag, 12.10.
Wir fahren weiter bis zum Ende (oder Anfang) der Tarnschlucht nach Florac auf einen Campingplatz. Der Wäschesack ist voll, wir brauchen dringend eine Waschmaschine.
Der Campingplatz liegt am Oberlauf des Tarn, und der Campingplatzchef ist ganz stolz darauf, dass der sogenannte Stevenson-Weg mitten über den Platz führt. Robert-Louis Stevenson („Die Schatzinsel“, „Dr. Jeckyll and Mr. Hyde“) war 1878 von Le Puy en Velay nach Alès gelaufen, 260 KM zu Fuß durch die Cevennen, begleitet von einer Eselin, die sein Gepäck trug und die er Modestine nannte. Der Bericht über diese Wanderung, „Reise mit dem Esel durch die Cevennen“, ist die perfekte Lektüre für die Gegend. Stevenson hat einen scharfen und humorvollen Blick auf seine Umgebung und auf die Menschen, die er trifft. So beschreibt er, wie Modestine erst mithilfe eines stachelbewehrten Steckens zum zügigeren Gehen bewogen werden konnte, wie er in einfachen Herbergen mit mehreren anderen Gästen in einem Zimmer, gelegentlich auch in einem Bett, nächtigte, und dass er die Nächte in der Natur, eingewickelt in einen Schlafsack aus wasserdichter Plane und Schaffellen bevorzugte. In einem Trappistenkloster registrierte er amüsiert, wie schwer sich manche Brüder mit dem Schweigegelübde taten. Heute ist der Stevenson-Weg touristisch gut erschlossen, für das Gepäck gibt es immer noch Esel, oder es wird transportiert. Interessant ist, dass in einem Reiseprospekt auf mögliche Bettwanzen hingewiesen wird. Die dürften bei Stevenson auch an der Tagesordnung gewesen sein.
Egal ob Stevenson- oder andere Wege, die Gegend ist ein Wander-Eldorado. Vom Tarn führen die Routen hoch durch Pinien- oder Kastanienwälder in die Kalkplateaus und bieten phantastische Ausblicke.


Bei der Wanderung durch lichtdurchflutete Kastanienwäldersammlemich ein Säckchen Esskastanien, die wir am Abend fachmännisch auf unserem Grill rösten.

Sah ganz toll aus und roch verführerisch. Leider ließen sie sich nicht schälen… Es muss einen Trick geben, wie auch das dünne Häutchen abgeht. Das nächste Mal Maronis lieber wieder auf dem Weihnachtsmarkt vom Profi.
Die nächstgelegene Kirche sitzt in Bédoues auf einem Hügel, stammt aus dem 14. Jahrhundert und kann sich nicht entscheiden, ob sie Gotteshaus oder Festung sein wollte. Jedenfalls sieht sie interessant aus – ist aber leider geschlossen.

Das Örtchen Florac hat eine hübsche Platanenallee mit Bänken in der Mitte und Restaurants außen herum. Ansonsten zerfallen die Häuser mit marodem Charme vor sich hin.

Wir fahren auf den Markt nach Florac, kommen aber leider zu spät. Markt schon vorbei. Dafür essen wir auf dem platanengesäumten Platz zu Mittag und fühlen uns wie in Frankreich!
Freitag, 13.10.

Wir fahren der Sonne nach in die südlichen Cevennen nach Anduze. Das kennen wir schon von früheren Reisen, damals noch mit dem Wohnwagen. Leider haben alle Campingplätze geschlossen, und der einzige Stellplatz ist nicht serh attraktiv. Wir probieren es 20 km weiter, ebenfalls ohne Erfolg. Schließlich landen wir beim sogenannten Axel-Camping. Das Dorf Montoulieu leistet sich einen Camping Municipal namens Le Grillon, der von Axel aus Hamburg geführt wird. Auch diesen Platz kennen wir von früher, einschließlich Axels leckere Pommes. Auf Axel ist auch sechs Jahre nach unserem letzten Besuch noch Verlass, und auch die Pommes sind so gut wie in der Erinnerung. Wir beschließen den Tag mit mehreren Flaschen Wein, die wir mit einem Lehrerpaar aus Bochum teilen. Es ist Sympathie auf den ersten Blick und wird ein sehr netter Abend.
Samstag – Sonntag, 14.-15.10.
Das letzte schöne Wochenende ist angekündigt, bevor auch für Südfrankreich eine Regenperiode angesagt ist. Etwa 5 km von unserem Campingplatz entfernt beginnt eine sogenannte Route Verte, eine grüne Straße, die von Sauve (Richtung Nîmes) über Sainte-Hippolyte-du Fort und Ganges bis Sumène führt. Route vertes sind ehemalige Bahnstrecken, die für den Fuß- und Radverkehr umgebaut wurden. Das heißt, ein schmales Sträßchen führt elegant durch Tunnel, über Viadukte und unter Straßenbrücken durch die Landschaft, mit gemächlichen Steigungen wie bei Zugstrecken üblich. Richtung Sauve führt die Strecke aus den Bergen heraus in offeneres Gelände. In die andere Richtung, besonders zwischen Ganges und Sumène, wechseln sich die Brücken und Tunnel ab, und man fährt an steilen Felswänden entlang.

In Sainte-Hippolyte-du-Fort gibt es ein altmodisches kleines Museum, das dem früher wichtigsten Broterwerb der ganzen Gegend gewidmet ist, der Seidenproduktion. Ein Film aus den 40er Jahren erzählt mit dramatischer Musikuntermalung wie die Seidenraupen, die ausschließlich Maulbeerblätter fressen, aufgezogen wurden, wie die Puppen in heißem Wasser abgetötet und wie rund 900 Meter Seidenfaden von jedem Kokon abgewickelt, genauer abgehaspelt wurde.


Mit der Zeit entwickelte sich eine Arbeitsteilung zwischen den Dörfern der Cevennen, die sich um die Produktion der Seide kümmerten, und den umliegenden Städten wie Alès (Spinnereien), Nîmes und Lyon (Webereien) und Ganges (Produktion von Seiden- und anderen Strümpfen). Während die Produktion der Seidenfäden von der Raupe bis zum abgehaspelten Kokon bis heute nur mit sehr viel Handarbeit bewältigt werden kann, initiierte die weitere Verarbeitung der Seide eine Industrialisierung der Gegend. Nach dem ersten Weltkrieg stellte man die Strumpfproduktion um von echter Seide auf Kunstfasern, nach dem zweitwn Weltkrieg war bald auch damit Schluß. Heute zeugen leerstehende oder umgenutzte Fabrikgebäude von der industriellen Vergangenheit.

Montag, 16.10. – Dienstag 17.10.
Entgegen der Wettervorhersage ist es immer noch trocken. Wir fahren dem Regen davon und bei trockenem Wetter zunächst zu unserem schon bekannten Übernachtungsplatz in Aix-les-Bains (genannt „Schrankencamping“) und am Dienstag durch die Schweiz nach Hause. Es war eine wunderbare Tour, die uns die atemberaubenden Landschaften der Cevennen nahegebracht hat. Wir waren sicher nicht das letze Mal dort.